Ab Kollmar rund um Pagensand

Am 24. Juni 2022 fuhr das Flachbodenschiff Tidenkieker von Kollmar aus um die Elbinsel Pagensand. Während der drei Stunden Fahrt informierte Frau Edelgard Heim von der Integrierten Station Unterelbe (Elbmarschenhaus) die 40 Teilnehmer über den Naturraum Elbeästuar.

IBP-geplante-Fahrt
10 Jahre IBP-die geplante-Fahrt rund um Pagensand

Abweichend von der geplanten Route konnte die Fahrt verlängert werden. Wir fuhren durch das Dwarsloch am Juelssand und dem Haseldorfer Hafen vorbei.

10 Jahre Integrierter Bewirtschaftungsplan IBP für das Elbeästuar

Anlass für die Bootsfahrt war Jubiläum des Managementplans für den Tidenbereich der Elbe. Vor 10 Jahren wurde dieser „Integrierte Bewirtschaftungsplan für das Elbeästuar“ von den drei betroffenen Bundesländern Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen unterzeichnet. Aus diesem Anlass wurden zwei Touren mit dem Tidenkieker rund um Pagensand öffentlich und durch das Land Schleswig-Holstein finanziert angeboten. Die Fahrten waren schnell ausgebucht. (Anmerkung: Am 1. Juli 2022 fährt der Tidenkieker bis zum Herbst wieder die gewohnten Touren, beispielsweise ab Haseldorf, die coronabedingte Zwangspause ist beendet.

Spannungsfeld Natur und Nutzung
Spannungsfeld Natur und Nutzung

Ästuar

Die Gezeiten beeinflussen die Elbe bis zur Staustufe Geesthacht. Man spricht von der Tideelbe, allgemeiner von einem Ästuar. Ästuare sind Flussmündungen, in denen das Wasser je nach den Gezeiten hin und zurück strömt. Die Gezeiten bewegen im Ästuar mehr Wasser als der eigentliche Fluss an Wasser zum Meer transportiert. Bei Flut dringt das dichtere Salzwasser am Flussboden entlang Richtung Hamburg vor, dass abfließende Süßwasser der Elbe bildet die obere Wasserschicht.

Die typischen Ästuare sind trichterartig geformte Flussmündungen. Das Ästuar der Elbe ist mit 1 bis17 Kilometern mit Abstand das breiteste Ästuar der deutschen Nordseeküste. Weser und Eider sind weitere zwei bekannte Flussmündungen in Form von Ästuaren. – Der Gegenbegriff sind Flussmündungen in Form eines Flussdeltas. Dort überwiegt die Sedimentation, das mit dem Fluss transportierte sandige bis steinige Material schüttet allmählich eine Halbinsel im Meer auf. Ein solches Delta ist dann mit verwirrend vielen Flussarmen und alten Flussarmen durchzogen. Dagegen hat das Ästuar der Elbe einen klaren Verlauf und kann als Wassertransportweg genutzt werden.

Im Ästuar vermischen sich salziges Meerwasser und das Süßwasser des Flusses. Nahe am Meer ist der Salzgehalt höher als näher an Hamburg. Die Vertiefungen der Fahrrinne bewirken, dass beispielsweise in Höhe Haseldorf der durchschnittliche Salzgehalt des Wassers in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen ist. Mit der Zunahme des Salzes wird es schwieriger, das Elbwasser für den Obstanbau entlang der Niederelbe zu nutzen.

Spiel mit den Abkürzungen

Ein Wort wie „Integrierter Bewirtschaftungsplan für das Elbeästuar“ IBP löst bei den meisten Menschen ein Gähnen aus. Kaum ein Teilnehmer war heiß darauf, sich mit dem „Behördendeutsch“ zu beschäftigen. Edelgard Heim ging das Thema spielerisch an: Die Teilnehmer lernten Abkürzungen wie bei einem Memory-Spiel. IBP, FFH, NSG, MP und Fachvokabeln wie Endemit und Biodiversität. Der Reichtum der Informationen kann an dieser Stelle nicht einmal annähernd wiedergegeben werden.

Abkürzungen rund um den IBP - Integrierten Bewirtschaftungsplan Elbeästuar
Abkürzungen rund um den IBP – Integrierter Bewirtschaftungsplan Elbeästuar

Allmähliche Entwicklung der ursprünglich vorgesehenen Maßnahmen an einem Beispiel

Beweidung hält Landschaften offen und verhindert übermäßiges Wachstum von Gehölzen. Aus Naturschutzsicht war es gut, dass auf Pagensand Rinder geweidet haben. Und vordergründig war es sogar noch besser, als die Rinder den Weidezaun überwunden hatten und frei auf der Fläche weideten. Allerdings stand dem die Regelung entgegen, dass in Schleswig-Holstein kein Weidevieh im Wald grasen darf. Wegen dieser Regelung mussten die Rinder eingefangen werden und Pagensand verlassen.

Die Naturschützer überlegten, welche anderen großen Pflanzenfresser als Ersatz in Frage kommen könnten. Aus verschiedenen Gründen fielen Damhirsch oder Rothirsch aus. Die ehemaligen Weiden verbuschten während dessen immer mehr. Eine Mahd mit Maschinen war auf die Dauer nicht machbar. Ein Abtransport des Mähguts von der Insel per Schiff wäre aufwendig, auf der Insel selbst könnte es nicht verwertet werden.

Aktuell ist vorgesehen, die ehemaligen Weideflächen  in einen naturnahen Uferbereich umzugestalten. Das Projekt macht die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes zusammen mit der Stiftung Lebensraum Elbe, einer Hamburger Stiftung. Mehr Infos zu dem Projekt, Tidelebensräume auf der Elbinsel schaffen: Für lebendige Flussnatur.

Verbesserung der Information über die Artenvielfalt

Mehr Wissen über die Artenvielfalt zu verbreiten ist eines der langfristigen Maßnahmen im Bewirtschaftungsplan IBP.

Beispielhaft wurden auf der Rundfahrt drei Pflanzenarten ausführlicher vorgestellt

Schierlings-Wasserfenchel

Mit der politischen Diskussion um die Elbvertiefung wurde der Schierlings-Wasserfenchel in den Medien berühmt. Eine Pflanzenart, die nur im Tidenbereich der Elbe vorkommt, sonst nirgendwo auf der Welt – ein Endemit. Vor einigen Jahren zählten die Bundesländer die auf ihrem Gebiet wachsenden Exemplare. In Schleswig-Holstein fand man eine (!) Pflanze, auf dem Hamburger Gebiet immerhin über tausend. Zwar wächst die Pflanze in schwer zugänglichen Gebieten, am Rand der schmalen Priele des Tidebereiches. Die Zahlen zeigen dennoch den Gefährdungsgrad. Wenn wie im Jahr 2021 fast 2.000 Exemplare (und in 2022 voraussichtlich 1.000 Pflanzen) aus dem Wiederansiedlungsprogramm ausgebracht werden können, so ist eine deutliche Bestandsstärkung zu erwarten.

Schierlings-Wasserfenchel zur Blütezeit im Juni

Kriterien für Projekte der Wiederansiedlung

  • Die Art muss zuvor im Gebiet vorgekommen sein
  • Die Art muss im Gebiet ausgestorben sein – der Schutz und die Vermehrung auch eines kleinen Restbestandes ist vorzuziehen.
  • Das Motiv, warum die Art verschwunden ist, muss bekannt sein und dieser Grund muss behoben sein.

Edelgard Heim kann den Teilnehmern ein Gefäß mit Samen vom Schierlings-Wasserfenchel zeigen. Diese Pflanze produziert große Mengen an Samen, die sich im Kühlschrank auch gut halten. Für die Aussaat der zweijährigen Pflanze steht genügend Saatgut zur Verfügung. Die Arbeit besteht darin, in einer Saison aus den Samen die jungen Pflanzen zu ziehen und diese dann im Herbst an geeigneter Stelle auszubringen. Der Schierlings-Wasserfenchel überwintert dann im Schlamm, um im nächsten Sommer zu blühen und wieder Samen zu bilden. Auch wenn der Boden sehr schlammig erscheint, schafft es diese Pflanze, sich so fest zu verwurzeln, dass sie die Sturmfluten übersteht. Daher scheiden zu schlammige Uferbereiche als Lebensraum dieser anspruchsvollen Pflanze aus.

In solchen kleinen Prielen fühlt sich der Schierlings-Wasserfenchel wohl. Die neugierigen Botaniker werden von Mücken zerstochen.

Wibels Schmiele

Gibt es eine rote Liste Art, die in großen Beständen vorkommt und nicht bedroht zu sein scheint? Für das Süßgras „Wiebels Schmiele“ trifft diese Aussage zu. Deschampsia wibiliana kommt mit dem Lebensraum Steine der Uferbefestigung gut zurecht. Noch vor der Abfahrt des Tidenkiekers konnten die Teilnehmer mehrere Exemplare am Anleger sehen. Wibels Schmiele ähnelt der Rasenschmiele, die praktisch überall vorkommt. Die Blätter beider Gräser haben ein deutliches Streifenmuster. Diese Stresemann-Hosen werden deutlich sichtbar, wenn das Blatt gegen die Sonne gehalten wird. Fasst man die Pflanzen an, so unterscheiden sich Rasenschmiele und Wibels Schmiele deutlich voneinander. Das Blatt der Wibels Schmiele ist glatt, während sich die Rasenschmiele rau anfühlt. Die Blätter sind mit Kieselsäurezähnchen besetzt. Frau Heim gab den nicht ernst gemeinten Hinweis, im Zweifelsfall an dem Blatt zu lecken. Wenn die Zunge blutig wird, so ist es die Rasenschmiele. Die häufige Rasenschmiele gehört zu den ersten 200 Arten des Zertifikats Feldbotanik – die Wibels Schmiele ist nur Spezialisten bekannt – und nun den Teilnehmern dieser Tidenkiekertour.

Wibels Schmiele , Deschampsia wibiliana, ein Endemit des Elbeästuars
Wibels Schmiele , Deschampsia wibiliana, ein Endemit des Elbeästuars

Japanischer Staudenknöterich

Bei der Fahrt durch die Binnenelbe konnten wir vom Schiff aus einen größeren Bestand von bis zu drei Meter hohen japanischen Staudenknöterich erkennen. Diese Pflanze ist als invasiver Neophyt eingestuft, eine aus der Ferne eingeführte Pflanze, die in unserer Natur so durchsetzungsstark ist, dass einheimische Pflanzen zurückgedrängt werden und Biotope sich verändern.

Die ISU-Station (Elbmarschenhaus – Integrierte Station Unterelbe) hat als Schwerpunkt den „umsetzungsorientierten Naturschutz“. Die MitarbeiterInnen sammeln auch Erfahrung im Umgang mit den Neophyten. Riesenbärenklau, Amerikanische Traubenkirsche und Japanischer Staudenknöterich sind die bekanntesten Beispiele.

Frau Heim stellt ein relativ neues Verfahren vor: Die Stämme der Pflanzen können mit einer Elektrolanze erhitzt werden. Das wurzelnahe Gewebe wird damit so stark geschädigt, dass die Pflanze im günstigen Fall abstirbt. Auch heißer Wasserdampf ist für diesen Zweck im Gespräch.

Unsere Fahrt und die Vogelwelt

Keine Tour an der Elbe ohne Vogelbeobachtung. Bei dieser Fahrt lag der Schwerpunkt auf dem Naturschutz-Management im Elbeästuar. Dennoch bekamen gerade die größeren Vögel wie Kormorane und Gänse ihre Aufmerksamkeit.

Unsere Fahrt, der Seeadler und der Seehund

Heute brüten in Schleswig-Holstein viel mehr Seeadler als vor einigen Jahrzehnten. Praktisch jede Elbinsel hat nun ihr Seeadlerpärchen, bis auf Pagensand, so Frau Heim. Und grundsätzlich hat auch jede Fahrt mit dem Tidenkieker eine Seeadlerbeobachtung. Bis auf unsere Fahrt. Wir waren alle sehr aufmerksam. Doch jeder dunkle große Vogel, den wir entdeckten, war bei näherer Betrachtung ein anderer Greifvogel: Mäusebussard, Rotmilan oder Rohrweihe.

So wie wir auf dieser Tidenkiekerfahrt den Seeadler nicht sahen, konnten wir auch keinen Seehund entdecken. Seehund und Schweinswal sind zwei Arten von Säugetieren, die in diesem Bereich der Tidenelbe immer mal wieder gesichtet werden. Die Seehunde liegen allerdings eher auf der niedersächsischen Seite (Brammer Bank).

Anmerkung zum Biber: dieses Nagetier wurde im vergangenen Jahr erstmals auf der Insel Pagensand nachgewiesen. Auch in diesem Jahr wurde ein Tier bestätigt.

Juelssand

Die Tour führt uns dicht am Leuchtfeuer Juelssand (bisweilen Julssand geschrieben) vorbei. Seine Lage machte dieses kleine Bauwerk bekannt, das gilt auch für die Zeit nach seiner Funktion als Leuchtfeuer. Aktuell im Privatbesitz liegt keine Nutzung auf dem kirchenähnlichen Gebäude. Da Juelssand im strengen Naturschutzgebiet liegt, kann es auch nicht besucht werden. Nur einmal jährlich im August bietet das Elbmarschenhaus eine Wanderung hin zum Leuchtfeuer Juelssand an. Der Termin liegt im August, nach der Brutzeit und vor der Ankunft der Zugvögel. Der nächste Termin ist am 6.8.22 siehe www.elbmarschenhaus.de