Der Buntspecht schließt die Augen beim Hämmern
Auf den Zeitlupenaufnahmen ist zu sehen, dass der Specht die Augen schließt, kurz bevor der Schnabel auf den Stamm trifft. Die naheliegende Vermutung ist, dass die Augen geschützt werden sollen, vor Verletzung oder vor eindringenden Schmutz. Doch eine Arbeitsgemeinschaft von Hals-Nasen-Ohrenärzten ging einer anderen Vermutung nach. Könnte es so etwas wie ein Ohrenlid geben, um das Innenohr mit dem Gleichgewichtsorgan zu schützen?
Augen zu beim Aufprall – Verbreitet im Tierreich
Auf vielen Fotos ist zu erkennen: der Fussballspieler schließt die Augen kurz vor dem Kopfball. Auch die Büffel oder die Steinböcke schließen die Augen kurz vor dem Aufprall auf den Kontrahenten. Die Geste ist so typisch, dass sie auch bei Comic-Zeichnungen eingesetzt wird. (Wegen der Bildrechte nur ein Link als Beispiel).
Vortrag der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern
Am 17.02.2023 stellt Professor Dr. Hans Scherer (Charite Berlin) Ergebnisse der Studien von ihm und seinen Kollegen vor. Der Vortrag fand im Rahmen der regelmäßigen Vorträge der Ornithologischen Gesellschaft Bayerns statt – diese Veranstaltung ist über Zoom online zu verfolgen. Eine Anmeldung kann über info@og-bayern.de erfolgen. Spenden sind willkommen.
Kopfnüsse beim Specht – Ein traumatologisches Gutachten
Bei schweren Aufprallunfällen kann es zu dauerhaften Problemen mit dem Gleichgewichtssinn kommen. Den Gutachtern ist aufgefallen, dass anscheindend gleich schwere Schläge auf den Kopf doch recht unterschiedliche Folgen haben – leichtere Schläge können zu schweren Gleichgewichtsstörungen führen, wogegen manches Mal der Aufprall mit hoher Geschwindigkeit keine Schäden am Gleichgewichtsorgan verursacht. Das Forscherteam begann eine Hypothese zu untersuchen: Gibt es einen Schutzmechanismus für das Gleichgewichtsorgan, ähnlich wie das Augenlid ein Schutz für das Auge ist? Die Antwort ist ja, es gibt einen solchen Schutzmechanismus.
Das Innenohr mit dem Gleichgewichtsorgan
Für mich war erstaunlich zu hören, dass bei den Vögeln das Innenohr genauso aufgebaut ist, wie ich es im Schulunterricht für den Menschen gelernt habe. Ein Schneckengang zu hören und drei Bogengänge für die Orientierung in den drei Raumrichtungen. Dazu gibt es noch Sensoren für die Beschleunigung bzw. das Bremsen, die Otolithenorgane.
Die Gleichgewichtsorgane wurden in der Evolution vor langer Zeit entwickelt – und sind im Prinzip gleich geblieben. Im Gleichgewichtsorgan liegen kleine Steinchen auf feinen Haaren auf. Bewegen sich die Steinchen, so bewegen sich die Härchen und lösen einen Nervenimpuls aus.
Die Meereskrabben verlieren bei jeder Häutung auch die Steinchen – und geben dann nach der jeder Häutung aktiv ein Steinchen in das Gleichgewichtsorgan. Fische und andere Wirbeltiere nehmen sie nicht mehr aus der Umgebung auf, sondern bilden die Steinchen organisch. Selbst bei Quallen hat man gleichartig gebaute Sinnesorgane gefunden, die eine Orientierung für oben und unten ermöglichen.
Haarzellen ändern ihre Länge
Die Otolithenorgane bestehen aus den sensiblen Haarzellen und einem darüber gelegenen Netzgewebe mit den Steinchen. Die Haarzellen melden jede Bewegung des Kopfes (eigenlich die Beschleunigung bzw negative Beschleunigung beim Abbremsen einer Bewegung). Wenn sich die Haarzellen zusammenziehen, so wird die Empfindlichkeit des Sensors reduziert. Dieser Mechanismus erfüllt die Funktion eines „Ohrenlides“ – in Analogie zum Augenlid.
Kein Reflex, sondern eine Funktion der efferenten Nervenbahnen
„Efferente Nerven“ sind Nerven, die aus dem Stammhirn zum Ohr führen (Allgemeiner vom Hirn in den Körper). Sieht das Auge einen Schlag auf den Kopf kommen, so sendet das Großhirn Signale an den Hirnstamm, und die efferenten Nerven leiten Impulse zu den Haarzellen, so dass diese sich zusammenziehen und somit die Wirkung des Schlages auf das Gleichgewichtsorgan vermindern. Zuerst ist die Erwartung eines Schlages da, dann kommt der Nervenimpuls, dann der Schlag. Insofern handelt es sich nicht um einen Reflex. Beim Reflex ist zuerst das Ereignis, dann kommt die Reaktion des Organs.
Prof. Scherer geht davon aus, dass der Impuls der efferenten Nerven gleichzeitig das „Ohrlid“ und das Augenlid aktiviert. Die Wirkung des Augenlides lässt sich unmittelbar beobachten und fotografieren. Für die Wirkung des Ohrenlids hat Prof. Scherer mehrer Diagramme von Nervenimpulsen gezeigt. Die Ausführungen gingen bis ins Detail – dafür möge der Leser bitte medizinsche Literatur heranziehen (Gerne füge ich einen entsprechenden Link an dieser Stelle ein, bitte mailen).
Specht schlägt ein Loch in den Stamm – Specht fliegt gegen Glasscheibe
Wenn er sein Holz bearbeitet, so weiß der Specht, was er tut. Kurz vor dem Aufprall schließt er sein „Ohrenlid“ und gleichzeitig sein Augenlid. Der Specht sieht, was kommt. Dagegen ist der gleiche Vogel beim Aufprall auf eine Glasscheibe möglicherweise schwer beschädigt, denn den Aufprall erwartet er nicht.
Das gleiche gilt für Unfälle des Menschen – kommt ein Schlag unerwartet, so sind die Schäden am Gleichgewichtsorgan schwerer als wenn der Aufprall vorhergesehen wird. Beipiel: Zusammenstoß mit einer geöffneten Schranktür.
Schlussbemerkung über Haarzellen
Die Haarzellen im menschlichen Innenohr erneuern sich nicht, und nach 7 Jahrzehnten sinkt die Leistungsfähigkeit deutlich – Alterschwerhörigkeit, aber auch Gleichgewichtsprobleme sind die bekannten Folgen. Die Haarzellen der Vögel erneuern sich Zeit des Vogellebens – ein solches Altern gibt es dort nicht. – Der Referent schließt mit der Hoffnung, dass hier Potential für medizischen Forschritt schlummert.
Dieser Beitrag ist nach dem Vortrag aus meinen Notizen entstanden. Sollten sich Fehler in der Wiedergabe eingeschlichen haben, so gehen diese auf meine Verantwortung, der Text ist nicht mit Professor Dr. Hans Scherer (Charite Berlin) abgesprochen.
1 Kommentar.
@hansrutar Nachtrag zu den Zugvögeln, die in 12.000 m Höhe bei etlichen Minusgraden unterwegs sind: deren Innenohren werden durch arterielles Blut geheizt, je eine Arterie verläuft entlang der drei Bogengänge. Das ist wohl bei anderen Tieren nicht so, wie ich den Referenten verstanden habe.